„Man kennt die Pulsmessung natürlich aus dem Medizinstudium. Die Pulsdiagnostik im Ayurveda beinhaltet andere Fragestellungen. Und das war eine ganz spannende Erfahrung. Dass man feststellt, dass es eine Unmenge an Feinheiten gibt, die sich herauslesen lassen und für den medizinischen Alltag hilfreich sein können. Das war inhaltlich sehr interessant und aufschlussreich.“ 

Interview mit Dr. Christine Huber, Fachärztin für innere Medizin in Zürich

Im Sommer 2021 hat Frau Dr. Christine Huber den Ärzte-Ausbildungskurs „Maharishi Ayurveda Puls­­dia­gnose & Phytotherapie“ an der Deutschen Ayurveda Akademie absolviert. Das Interview wurde im Oktober 2022 geführt.

Wie war – kurz zusammengefasst – Ihr bisherigen beruflichen Werdegang?

Studium der Humanmedizin – Approbation – Facharztausbildung zur Internistin – Hauptsächliche Tätigkeit in einem Krankenhaus – aktuell an einem universitären Spital mit einer niedrigprozentigen Beteiligung an einer Praxistätigkeit

 

Arbeiten Sie schon immer in der Schweiz?

Schon immer, genau. Auch während dem Studium habe ich schon das praktische Jahr in der Schweiz absolviert. Und dann nach dem Studium bin ich direkt in die Schweiz gegangen.

 

Eine kleine Beteiligung an einer Praxis wie muss man sich das vorstellen?

Ich bin hauptsächlich in einem öffentlichen Spital tätig und einen Tag in der Woche in einer Praxis.

 

Wie kam es zum Interesse an einer Weiterbildung in Ayurveda?

Letztendlich ist es die holistische Ansicht und der integrative Ansatz, dessen sich der Ayurveda bedient, was ich schon lange interessant gefunden habe. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich auch bereits mit Yoga und habe darüber dann auch den Einstieg zum Ayurveda gefunden.

 

Hatten Sie schon etwas Ayurveda-Vorwissen oder -Erfahrung, als Sie sich zum Maharishi Ayurveda Ausbildungskurs für medizinische Heilberufe angemeldet haben?

Ein- bis zweitägige Kursseminare. Die grundlegenden Ideen und die Konstitutionstypen waren mir bereits ein Begriff.

 

Was fällt Ihnen in Verbindung mit dem Ausbildungskurs spontan ein, wenn Sie an Erfahrungen, Begebenheiten oder Inhalte denken, die bei Ihnen einen besonderen Eindruck gemacht haben?

Die Herangehensweise an die Pulsdiagnostik. Das war etwas ganz Neues. Man kennt die Pulsmessung natürlich aus dem Medizinstudium. Die Pulsdiagnostik im Ayurveda beinhaltet andere Fragestellungen. Und das war eine ganz spannende Erfahrung. Dass man feststellt, dass es eine Unmenge an Feinheiten gibt, die sich herauslesen lassen und für den medizinischen Alltag hilfreich sein können. Das war inhaltlich sehr interessant und aufschlussreich.

Wie setzen Sie das Wissen, das Sie auf dem Ausbildungskurs erlangt haben, in Ihrem Beruf ein?

Die Konstitutionsbeschaffenheit der Patienten läuft automatisch im Hintergrund mit bei mir. Und je nachdem was natürlich die Fragestellung ist, kommen dann die Empfehlungen des Ayurveda mehr oder weniger zum Tragen. Wenn ich eine Akut-Situation habe oder es ganz klar ein medizinische Vorgehen braucht, dann ist die ayurvedische Diagnostik eher im Hintergrund. Wenn es aber Beschwerden aus den chronischen Krankheitsbildern sind, bekommt die ayurvedische Diagnostik einen wesentlichen Stellenwert – und ist auch sehr hilfreich wenn es darum geht mit dem Patienten über Prävention und Lebenstilmaßnahmen zu sprechen – diese Bereiche lassen sich in der Regel mit den ayurvedischen Ansätzen gut verbinden.

Profitieren Sie auch persönlich von dem neu erlangten ayurvedischen Wissen?

Ich glaube es ist ja auch immer ein persönlicher Werdegang. Alles was man im Leben lernt, lernt man natürlich auch für sich. Und so ist es natürlich auch mit dem Ayurveda. Da nutzt einem das Wissen um zu schauen: Besteht aktuell eine Dysbalance? Oder was wäre jetzt bei bestimmten Beschwerden konstitutionsspezifisch hilfreich? Dies schätze ich auch als persönliche Bereicherung. Ich glaube, da kann ich auch für meine Kolleginnen und Kollegen sprechen, die mit mir den Kurs absolvierten.

Dieser Wissenszugewinn ist kein abschließender Prozess, sondern erst durch die Implementierung in den Alltag kann Einfluss auf die Lebensqualität genommen werden.

Wie schwer oder leicht war es, das Wissen zu erlernen und anzuwenden?

Die Begrifflichkeit sind sicherlich nicht alltäglich. Mit Begriffen aus dem Sanskrit kommt man normalerweise kaum in Berührung. Das muss man sich einfach mal so verinnerlichen, gerade wenn es um bestimmte Charakteristika im Puls geht, von denen man die entsprechenden Fachbegriffe im Sanskrit lernt. Da ist am Anfang sicherlich nicht ganz einfach. Es stellt sich jedoch auch die Frage, ob man diese Begrifflichkeiten im Alltag – gerade auch im Umgang mit Patienten – so präsent haben muss oder nicht. Weil wir sind ja in der Praxis in einer Patienten-zentrierten Sprache, wo diese Terminologie kaum angewendet wird.

Was die Inhalte und die Technik der Pulsdiagnose angeht war es am Anfang schwierig mit der Pulsdiagnose etwas anzufangen. Die zu erspürenden Pulscharakteristika umschreiben auch immer eine subjektive Komponente. Hier ist eine Objektivierung der Pulscharakteristika eher schwierig.

 

 

Ab wann kam für Sie der Punkt dass es leichter, klarer wurde und dass Sie sich langsam sicherer fühlten?

Das ging schon bis zur Mitte des Kurses. Wobei auch erschwerend dazukam, das viele Termine zunächst Covid bedingt auf Online umgestellt wurden. Dies erleichterte das Erlernen der Pulsdiagnose leider nicht. Mit Dr. Schachinger hatten wir in den Präsenzterminen einen sehr erfahrenten Ayurvedaarzt, der in der Interpretation des gefühlten Pulses unabdingbar war.

Ein Puls der sich zum Beispiel „kalt”, „ölig“, „pochend”, „hart” oder „hüpfend” beschrieben wird, wie fühlt ich dieser an? Was soll man sich darunter vorstellen? Das ist am Anfang erstmal schwierig. Und dies erlernt man am besten in der Gruppe, beim Fühlen und Vergleichen vieler unterschiedlicher Pulse und mit den Rückmeldungen vom Dozenten.

 

 

Welche Erwartungen hatten Sie an den Kurs?

Sicherlich ein Basiswissen über den Ayurveda zu erhalten. Was mich besonders interessiert hat war die Phytotherapie, weil ich mich da unabhängig vom Ayurveda auch mit der europäischen Phytotherapie viel beschäftige und das auch in meiner ärztlichen Tätigkeit anwende. Zudem bin ich auch bei der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie. Von dem her war die Pflanzenheilkunde aus dem Spektrum des indischen Kontinents besonders für mich sehr interessiert. Wobei man natürlich sagen muss, dass gerade bei den Maharishi Ayurveda Produkten in der Regel fast immer fixe Kombinationspräparate erhältlich sind. In der europäischen Naturheilkunde werden je nach Spektrum und Erkrankung individuell zusammengesetzte Pflanzenextrakte z.B. in Form von Urtinkturen zusammengestellt. Auch in der tibetischen oder chinesischen Medizin (TCM) werden häufig Pflanzenkombinationen verwendet; das deckt sich dann auch wieder mit der Herangehensweise des Ayurveda.

 

 

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ja, bezüglich des Basiswissens haben sich meine Erwartungen definitiv erfüllt. Auch was die Pulsdiagnose angeht, war es sehr spannend. Aber es ist immer schwierig zu sagen, was für Erwartungen man hat, wenn es ein komplett neues Feld ist. Da geht man meistens erstmal neugierig rein und schaut was dabei rauskommt. Insgesamt war ich sehr positiv überrascht vom Ayurveda-Pulsdiagnose-/Phytotherapiekurs.

Und was die Pflanzenheilkunde angeht ist s sicherlich auch spannend gewesen, gerade was die ayurvedische Betrachtung von Heilpflanzen betrifft, zum Beispiel hinsichtlich der Geschmacksrichtungen bitter, herb, süß, etc. die mit den einzelnen Doshas Vata, Pitta und Kapha in Verbindung gesetzt wurden.
Was die Anwendung angeht bezüglich der Kombinationspräparate, kann das Vademecum hilfreich sein. Aber dort wird auch mit Pflanzenkombinationen in Form von MA Präparaten gearbeitet. Als Beispiel: Terminalia Arjuna oder Brahmi kann ich in dieser Produktliste nicht als Einzelsubstanz verwenden, weil die Maharishi Ayurveda Präparate so nicht konzipiert sind, sondern immer in Anlehnung an die Originaltexte als Multipräparate.
Da muss man dann so ein paar Präparate auswendig lernen oder was jetzt diese Nummern betrifft, das war am Anfang für mich ein bisschen befremdlich, muss ich sagen. Weil man sich darunter am Anfang ganz wenig vorstellen konnte. (Anmerkung: Ayurveda-Präparate der Marke Maharishi Ayurveda haben für Ärzte und Personen in medizinischen Heilberufe im Normalfall nur eine Nummer.) Und wenn man sich anschaut wieviele Inhaltsstoffe ein Präparat teilweise hat – teilweise über 20 Inhaltsstoffe – dann wird es natürlich schon schwierig das jetzt im Einzelnen vom Pflanzenprofil her nachvollziehen zu können, wie das genau auf das Beschwerdebild einwirkt.

Wobei man dazu natürlich wiederum sagen muss, dass es im Ayurveda in dem Sinne auch keine Krankheitsbilder als solche gibt sondern eher Dosha-Ungleichgewichte und dass da der Fokus ein anderer ist. Nicht wie in unserer westlichen Medizin, dass man eben schaut „jetzt habe ich eine Hypercholesterinämie und wie kann ich die behandeln”. Die Herangehensweise ist vom Ayurveda her einfach eine ganz andere. Und das macht es komplexer die Pflanzen 1:1 an ein Krankheitsbild zu adaptieren.

 

Wie kommen ayurvedische Pulsdiagnose und ayurvedische Therapievorschläge bei Patientinnen und Patienten an?

Zunächst frage ich den Patienten/die Patientin, ober er/sie an einer ayurvedischen Betrachtung interessiert ist. Das Spektrum der Komplementärmedizin ist ja sehr breit und bietet viele unterschiedliche Ansätze, auch im nichtmedikamentösen Bereich, wie z.B. im Bereich der Mind-Body-Medizin. Mit dem Ayurveda habe ich durchaus schon sehr gute Erfahrungen gemacht u.a. bei psychosomatischen Beschwerden, aber auch z.B. in den Bereichen der Gastroenterologie und Dermatologie. Und dann natürlich auch konstitutions-spezifisch, wenn ein Patient psychisch belastet ist oder das Thema Nervosität oder Unruhe ein Thema ist. Da gebe ich auch gerne mal ein spezifisches Ayurveda-Präparat. Und das schlägt in der Regel sehr gut an.

Und die Pulsdiagnose läuft meist am Rand zur Einschätzung der konsitutionsspezifischen Beschwerden nebenbei mit. Und das kann dann in einem Vermerk für mich resultieren, dass ich den Patienten konsitutionsspezifisch einordnen kann, oder wenn die Patienten danach fragen, dann kann ich es ihnen auch mitteilen. Die meisten sind da sehr interessiert daran. Viele kennen es nicht und fragen dann auch mal nach. Sie wollen dann wissen was ist es denn genau oder bejahen dann „ja, das stimmt schon, ich bin eher so und so” und das deckt sich dann häufig vom Puls her mit der Konstitution und wie die Patienten sich selbst auch sehen. Die meisten Patienten reagieren sehr positiv darauf.

Die ayurvedische Pulsdiagnose setzen Sie also sehr häufig ein, aber ayurvedische Therapievorschläge geben Sie nur wenn Sie vorab erfragt haben, ob beim Patienten Interesse besteht?

Ganz genau. Weil das ja nicht mein Haupteinsatzgebiet ist. Ich bin ja nicht in eine Ayurveda-Klinik, sondern in einem öffentlichen Krankenhaus am Institut für Komplementärmedizin. Da sind die Schwerpunkte anders verteilt. Aber gerade präventiv kann durchaus das eine oder andere aus den Bereichen Phytotherapie und Lebensstilmodifikationen mit eingebracht werden – wo der Ayurveda ja sehr viele gute Empfehlungen parat hat.

Ich habe bisher herausgehört, dass Sie Schulmedizin und Ayurveda parallel einsetzen und sich auch beides gut ergänzt. Würden Sie dem zustimmen? 

Ja, ein komplementärer bzw. integrativer Ansatz ist meiner Ansicht nach gut umsetzbar.

 

Vielen Dank für das Interview!